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Charakter eines Schöpfungsaktes
In Denzlingens Kultur- und Bürgerhaus gastierte "Madrugá flamenca" mit einer
getanzten Interpretation von Nerudas Gedichten
Flamenco ist mehr als nur volkstümlicher Tanz und Musik aus dem
Süden Spaniens, auf die er oft reduziert wird. Vielmehr ist er Musik und
Tanz als ganz außergewöhnliche Ausdrucksform, nicht zuletzt weil sich im
Flamenco vielfältigste kulturelle Einflüsse — arabische, jüdische,
christliche — mischen, wofür das für seine kulturelle Toleranz legendäre El
Andaluz einen einmaligen Nährboden bot.
Das Ensemble “Madrugá flamenca” entwickelte aus der dem Flamenco ureigenen
Sensibilität ein Programm, dessen Ausdruckskraft und Intensität, verbunden
mit fließenden, aber auch exaltierten Bewegungen ein ganz außergewöhnliches
Flamencokonzept darstellt, das am Samstag im Kultur- und Bürgerhaus mehrere
hundert Besucher zugleich faszinierte und begeisterte: “Poemas de amor” —
Liebesgedichte — so der einen Abend voller Emotionen versprechende Titel des
aktuellen Programms, das das 2000 in Freiburg gegründete Ensembles darbot.
So wie der Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda der Liebe in seinen Gedichten
eine eigene Sprache verleiht, so kreiert “Madrugá flamenca” mit Tanz und
Musik einen ganz eigenen Flamencostil. Konzentriert, immer elegant wirkend,
präsentiert Sybille Märklin die unterschiedlichsten Charaktere. Verträumt,
leidenschaftlich, selbstbewusst, ausgeliefert und verloren — die Spielarten
der Liebe werden von ihr auf eine derart intensive Weise verkörpert, dass
sich keiner der Zuschauer dem entziehen könnte.
Mehr als getragen wird Sybille Märklin — die von der Flamenco-Avantgarde
geprägte Tänzerin — dabei von ihren Partnern, denn Musik und Gesang sind bei
“Madrugá flamenca” mehr als nur Fundament des Tanzes.
Vielmehr erscheinen Jörg Hofmann (Gitarre/Gesang), Jörg Benzing (Querflöte),
Markus Lechner (Kontrabass) und Frank Bockius (Perkussion) als kongeniale
Partner. So wirkt ein Zusammenspiel von Musik, Tanz und Gesang als intensive
Kommunikation auf Augenhöhe.
Dies ist zudem Vorausetzung für eine an Intensität und Tiefe kaum zu
überbietende Interpretation der literarischen Vorlage.
Dass Nerudas Texte dabei mehr als nur Inspiration für ein Programm sind,
vielmehr selbst durch eine sensible Vertonung und an Emotionalität nicht zu
überbietende Tanzperformance ganz neu werden, verleiht dem Auftritt von
“Madrugá flamenca” den Charakter eines Schöpfungsaktes. Der Auftritt des
außergewöhnlichen Ensembles lebt von einer kaum zu übertreffenden Präsenz.
Badische Zeitung, 5/06.
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