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madrugá flamenca - Die Entdeckung der eigenen Sprache
Wenn die Gruppendynamik funktioniert und die Chemie stimmt, springt der Funken schnell zum Publikum über.
Madrugá Flamenca aus Freiburg ist so eine Ansammlung von Künstlern, deren Geschichte im Jahr 2000
beginnt, in einem kleinen Theatercafé wird die Zukunft besiegelt. Seitdem sind sie mit ihren Programmen
nicht nur in der Flamencoszene ein Tipp für gute und anspruchsvolle Unterhaltung.
Eine Bildunterschrift im Veranstaltungskalender der ¡anda! 59 lautet: "Madrugá Flamenca hat mit den
vertonten Liebesgedichten Pablo Nerudas, den Poemas de Amor, einen ganz eigenen Flamencostil geschaffen."
Das will ich unbedingt sehen bzw. hören und mach mich auf nach Deufringen. Es handelt sich um ein Dorf in der
Nähe von Stuttgart. Und da soll also Flamenco stattfinden? Und wirklich im kleinen Deufringer Schloß
auf einer Bühne im Kellergewölbe findet es dann statt. Die Bühne ist zu klein, um mit Bata de cola
zu tanzen und die technischen Möglichkeiten für Beleuchtung etc. sind eher begrenzt. Aber das macht nichts.
Bis auf die Gitarre spielen die Musiker unplugged und sind auch sonst ganz nah beim Publikum.
Der Abend beginnt mit einer traditionellen Farruca mit bastón, die Sybille Märklin in klaren, strengen
Linien mit großer Präzision interpretiert. Bei Musik, Gesang und Tanz, die dann folgen, bin ich zunächst
ein bißchen überrascht. Dann höre ich plötzlich auf, darüber nachzudenken, ob es mir gefällt,
warum es mir gefällt. Meine Augen und Ohren sind gefangen. In den folgenden Wochen kriegt mein CD Player kaum etwas anderes zu
sehen als diese Vertonung der Neruda-Gedichte. Mein erster Eindruck bestätigt sich nach jedem Hören mehr. Man hat es
hier mit professionellen Musikern zu tun, die nicht nur ihr Flamenco-Handwerk verstehen. Nein, da steht noch mehr
dahinter. Die souveräne Beherrschung verschiedener Musikstile verschafft ihnen die kreative Freiheit, diese mit
dem Flamenco zu einer eigenen Sprache zu verbinden. Wer genau hinhört, dem werden die Anklänge an Bach u.a.
nicht entgehen. Sie arbeiten nicht nur mit Dynamik, sondern schöpfen die Spannung der Stücke aus dem Einfallsreichtum
der melodischen Linien. Dazu kommen raffinierte Übergänge von einem Motiv zum anderen, das Spielen mit
Rhythmuswechseln und nicht zuletzt die große Bandbreite an Klangfarben sowohl bei der Querflöte von Jörg
Benzing als auch beim Anschlag der Gitarre von Jörg Hofmann. Der Bass von Markus Lechner gibt dem Ganzen die Basis
und den warmen Grundpuls. Vor diesem musikalischen Hintergrund entfaltet Sybille Märklin ein wunderschönes
Tableau an tänzerischen Farben und Stimmungen, die sie Musik und Text "entlockt".
Im Freiburger Theatercafé treffe ich Sybille Märklin und Jörg Hofmann zu einem Gespräch. Die
Geschichte von Madrugá Flamenca beginnt im Jahr 2000. Aber die Wurzeln liegen wohl bereits in der zehnjährigen
Zusammenarbeit von Sybille und Jörg, die beide aus Familien kommen, in denen die Kinder mittels Cello- und Geigenunterricht
reichlich mit klassischer Musik gefüttert wurden. Ziemlich bald nach Beginn ihres Studiums machten sie sich dan auf nach Sevilla,
um dort den Flamenco zu entdecken. Später folgten weitere längere Aufenthalte in Madrid. Neben Gerardo Nuñez,
Miguel Ángel Cortés, Carlos Piñana und Manolo Franco erwähnt Jörg besonders Rafael Jiménez
"el Falo" als einen seiner wichtigsten Lehrer aus dieser Zeit: "Bei vielen Lehrern lernt man eben Gitarre spielen, Falsetas,
Technik und so. Aber ich hab auch sehr viel über Gesangsbegleitung bei el Falo gelernt, und das hat mir eigentlich
einen sehr viel tieferen Zugang zum Flamenco verschafft, als alles andere, was ich gemacht habe. Er hat mir auch als Person
sehr viel gegeben und seine Art und Weise, mit Flamenco umzugehen, eine sehr freundliche, sehr bescheidene, und trotzdem
sehr anspruchsvolle Art, Flamenco zu machen. Das hat mich sehr geprägt." Sybille legt ein bißchen die Stirn in
Falten und überlegt: "Ich hab bei wahnsinnig vielen Lehrern Unterricht gehabt. Ich hab immer gesagt, ich will bei allen
gewesen sein..." Dann erzählt sie von Eva la Yerbabuena, Rafaela Carrasco, Javier Latorre und besonders Belén Maya.
Eine wichtige Rolle hat auch Georgia, die erste Flamencofreundschaft in Sevilla gespielt: "Bei Georgia hab ich gar nicht
so wahnsinnig viel an Material und an Schritten gelernt, aber ganz viel über den Flamenco. Man hat sehr ihre Liebe zu dieser
Kunst gespürt. Gleichzeitig hatte sie diese Möglichkeit zu reflektieren oder zu analysieren und jemandem zu erklären,
worum es geht."
2000, nach dem letzten längeren Spanienaufenthalt, entstand dann der Wunsch, ein eigenes Ensemble zu gründen und es
begann die Suche nach Musikern. Professionelle sollten es sein, nicht unbedingt Flamencos, aber welche, die man mit diesem
Virus komplett infizieren kann. Nicht zuletzt menschlich sollte das Ganze gut zusammenpassen, erst dann kam die Wahl des Instruments
ins Blickfeld. Der erste Zugang war der Flötist Jörg Benzing, der in Trossingen und Karlsruhe Musik studiert hat, und
einmal infiziert, sich nicht nur mit auf nach Jerez machte, sondern auch zu Jorge Pardo "dem unumstrittenen Meister auf dem
Gebiet der Querflöte im Flamenco". Kurze Zeit später traf man dann auf Markus Lechner und seinen Kontrabass, der bereits viel
Erfahrung in sämtlichen Stilrichtungen von Klassik bis Bossanova gesammelt hatte, aber für Reisen in die Flamencowelt
noch völlig offen war. Diese Musiker plus Tänzerin bilden immer noch den harten Kern des Ensembles, was aber die
Zusammenarbeit mit anderen Künstlern nicht ausschließt, wie z.B. mit der Sängerin Patricia Prieto Muriel bei
der Produktion "Momentos entre noche y día" und dem Perkussionisten Frank Bockius, der seit der Produktion "Flamenco y Jazz"
2003 schon fast zur Familie gehört. Apropos Familie, was mir im Konzert schon aufgefallen ist, nicht nur, dass alle großen
Spaß an der Sache zu haben scheinen, sondern dass die fünf die Bezeichnung "Ensemble" wahrhaft verdienen, denn man
kennt sich musikalisch und ist im wahrsten Sinne des Wortes aufeinander eingespielt. So klingt es, wenn Leute die Möglichkeit
nutzen, durch eine langfristige Zusammenarbeit in einer bestimmten Kombination von Musikern ein künstlerisches Gesamtkonzept
zu erarbeiten und sich nicht nur "für einen Abend auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen zu müssen", wie Jörg
es ausdrückt.
Die Neruda Stücke hat Jörg eigentlich schon vor zehn Jahren geschrieben als er mit Flamenco noch relativ wenig am
Hut hatte. 2003 hat er sie dann im Hinblick auf das Neruda-Jahr 2004 noch einmal ausgegraben und neu überarbeitet. "Ich
hab die Stücke mit neuen Augen, d.h. mit zehn Jahre älteren Augen noch mal gesehen und gespielt und hab dann natürlich
gemerkt, wie ich viele Sachen viel mehr Flamenco empfunden habe und dann plötzlich Assoziationen von Fandangos oder Alegrías oder
so hatte." Eine sehr persönliche Angelegenheit diese Lieder, so persönlich, dass der, der sie erdacht hat, sie am besten auch gleich
selber singt. Das leuchtet ein.
In der ersten CD "Momentos", die noch etwas traditioneller gestaltet ist, klingen bereits manche Ideen der Neruda-Produktion an,
besonders in Stücken wie der Rondeña, die mit "Wandrers Nachtlied" verwoben wird und die erwähnten Klassikreminiszenzen
erkennen läßt. Hier zeigt sich die Entwicklung hin bis zu einer eigenen Sprache im Flamenco oder, wie man auch sagen
könnte, zu einem spezifischen Stil Marke Madrugá flamenca.
Und die Zukunft? "Ich kann mir gut vorstellen, dass wir diesen Spagat noch weiter aufspreizen, dass wir noch experimenteller
sind und noch traditioneller zur gleichen Zeit, d.h. diese Arbeit noch weiter ausbauen werden, um das dann sowohl akustisch
wie auch visuell auf der Bühne umzusetzen", antwortet Jörg.
Mehr wird nicht verraten. Man darf gespannt sein.
Anda - Zeitschrift für Flamenco, 2/06.
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